und warum das nicht das Problem ist und Abnehmen nicht die Lösung.

Vor ein paar Tagen: Ich stehe vor dem Schrank und nehme eine weiße Bluse heraus, die ich an diesem Tag tragen möchte und die schon immer hauteng sitzt. Ich streife sie über meinen Oberkörper und stelle fest: Das passt nicht. Der Stoff schließt sich so eng um meine Oberarme, dass ich sie nicht mehr richtig bewegen kann und wie ein Pinguin mit seinen kleinen Flügeln hin und herwedeln muss, damit alles an die richtige Stelle rutscht. Aber auch das funktioniert nicht richtig, es klemmt und zwackt und zu allem Überfluss fliegt nun auch noch einer der Knöpfe, die die Bluse am Rücken verschließen, in hohem Bogen durchs Zimmer. Ich kann nicht anders, als über die Situation zu lachen, wie ich hier stehe und versuche, mich in dieses Kleidungsstück zu zwängen. Ich wusste es eigentlich schon: Ich habe zugenommen.

Das Corpus Delicti

Ich habe zugenommen. Für viele Menschen löst dieser Gedanke schiere Panik aus, ist doch zunehmen und dick sein in unserer Gesellschaft eine gaaanz furchtbare Sache. Uns wird von klein auf eingetrichtert:

Dick sein ist furchtbar.

Abnehmen bedeutet erfolgreich sein.

Zunehmen ist versagen.

Wir haben ein Problem mit Fat Shaming in Deutschland. Dicke Menschen werden strukturell diskriminiert und benachteiligt und das muss sich unbedingt ändern. Aber auch bei „normal“ gelesenen Körpern, die keine strukturelle Benachteiligung spüren, kann eine Zunahme dazu führen, dass sich die Person absolut beschissen fühlt, so tief sind diese Überzeugungen gesellschaftlich verankert und werden uns gespiegelt. Wir bekommen Komplimente, wenn wir abnehmen und müssen uns rechtfertigen, wenn wir zunehmen. Klatschzeitschriften und Frauenmagazine sind voll mit Erfolgsgeschichten oder der Frage, „Weshalb hat sie sich so gehen lassen“ und dem Zoom auf einen Hintern mit Celullite. Es ist kein Wunder, dass eine Zunahme zu blanker Panik führen kann, dem Wunsch nach einer Diät und dem Unglück darüber, dass man sich nicht besser unter Kontrolle hatte. Aber so einfach ist es eben nicht. Ich weiß ganz genau: Dass ich zugenommen habe – nein, es ist nicht das Problem.

Meine Zunahme ist nicht das Problem und abnehmen nicht die Lösung.

Egal, wer mir was anderes einreden möchte, ich weiß: Zunehmen bedeutet nicht, dass ich die Kontrolle über mein Leben verloren habe. Stattdessen ist meine Zunahme ein Symptom und zwar dafür, dass es mir einige Wochen nicht so gut ging und meine Selbstfürsorge gelitten hat.

Ich habe mehr (emotional) gegessen als vorher.

Ich habe mich weniger bewegt als vorher.

Ich habe mich weniger um meine Bedürfnisse gekümmert als vorher.

Zunehmen ist ein Symptom und nicht das Problem an sich. Wenn wir uns davon lösen, in Panik zu verfallen, wie wir es gelernt haben, dann können wir es dafür sehen, was es wirklich ist: Ein Hinweis, ein Weckruf, sich wieder mehr um sich zu kümmern. Eigene Grenzen zu wahren. Sich mehr zu bewegen und zwar nicht um abzunehmen, sondern weil unsere Körper es lieben, wenn sie bewegt werden.

Also entscheide ich mich, erstmal durchzuatmen. Und mir dann ne fette (ha!) Umarmung zu schenken. Weil du und ich, weil wir so viel mehr sind als dieser Körper! Weil wir uns lieben dürfen, ganz egal, ob wir zugenommen haben. Jetzt schon und nicht erst Morgen und nicht erst nach der nächsten Diät oder wenn die Bluse wieder passt.

Die Zunahme ist nicht das Problem. Versprochen. Falls wir etwas ändern wollen, müssen wir uns fragen: Wie hab ich mich in den letzten Wochen selbst behandelt? Und bei mir sieht die Antwort so aus: Nicht gut. Und ich spüre, dass ich das ändern möchte.

ich möchte wieder achtsamer essen.

Ich möchte mich wieder mehr bewegen, weil es mir gut tut.

Ich möchte mich weniger durch Essen ablenken und mehr bei mir bleiben.

Andere Wege finden, um mit meinem Stress umzugehen.

Und vielleicht kommt damit auch eine Abnahme. Vielleicht bekomme ich die Bluse wieder über den Kopf und kann den Knopf wieder annähen. Vielleicht auch nicht! Aber wenn ich beginne, nach mir zu schauen und meinen Fokus wieder darauf zu richten, was mir gut tut, wird es mir unweigerlich besser gehen. Ganz egal, wie mein Körper aussieht. Und dasselbe gilt auch für dich. <3

Photo by Annie Spratt on Unsplash