Durch Corona sind grade alle in ihrer Freizeit ans Haus oder die Wohnung gefesselt und man könnte vermuten, dass dadurch zwangsläufig die große Langeweile einkehrt. Das muss aber nicht so sein, denn schließlich gibt’s jetzt auch eine Menge Onlinekurse zu unterschiedlichen Themen – wenn man denn die Zeit und das Geld dafür hat. Letzte Woche Mittwoch hab ich also was total Spontanes gemacht und an einem Workshop teilgenommen*, der den kryptisch erscheinenden Namen „HANDWERKSKUNST von Frau zu Frau“ trug. Laut Beschreibung sollte sich der dreistündige Workshop von Iva Samina um „weibliche Sexualität, Sinnlichkeit und intime Berührung einer Frau“ drehen. Da ich ja nun eine Frau bin, dachte ich, da kann ich sicher noch was lernen, why not!
Die große Frage: Muss ich was ausziehen?
Die große Frage, die sich mir stellte und mich zugegebenermaßen etwas nervös machte, war natürlich: Inwieweit muss ich in diesem Kurs live an mir selbst rumfummeln? Mich gar untenrum frei machen? Oder anderen dabei zusehen, wie sie nackt sind? Wäh! Denn so sehr ich Sex und alles drumrum (Dessous, Verführung, Austausch darüber) liebe, so groß ist meine Abneigung dagegen, ungewollt andere Menschen im sexuellen Kontext sehen zu müssen. Ich war schon immer diejenige, die ganz schnell weg geguckt hat, wenn Freude von mir sich zu tief küssten und ich bin extrem picky bei der Auswahl der Pornos, die ich gut finde. Da allerdings eine Bekannte von mir, die mir nicht wie eine große Exhibitionistin vorkam, sehr von Iva und ihren Workshops schwärmte und auch teilnehmen wollte, dachte ich optimistisch, „Okay, give it a go.“ Ich spoiler gleich: Nein, niemand hat was ausgezogen (Gott sei Dank)!
Iva stellt sich vor
Erwartungsfroh setzte ich mich also letzte Woche Mittwoch ins Schlafzimmer vor den Laptop, neben mir ein Tee und mein Notizbuch, um alle Erkenntnisse festzuhalten. Als Kleidung trug ich eine feste Yogahose und einen weiten Pulli, fest entschlossen, nichts davon auszuziehen! 😉 Als endlich alle Teilnehmerinnen im Zoom-Raum versammelt und die typischen, technischen Schwierigkeiten geklärt waren („Wie schaltet man alle auf mute?!“) ging es los mit dem Workshop.
Iva, eine sympathische Frau mit langen, braunen Haaren, deren Alter ich durch den Bildschirm nicht recht schätzen konnte, die aber verriet, dass sie zwei erwachsene Kinder hat, stellte sich vor. Sie erzählte uns, dass sie nicht nur solche Handwerks-Workshops für alle Gender, Vulven, Penisse und Hoden machte, sondern auch Tantra-Massagen gibt. Auf gut deutsch heißt das: Sie hat tatsächlich eine Menge Erfahrung mit diversen Körpern. Und das war deutlich zu hören!
Als Iva zu erzählen begann, dauerte es keine 5 Minuten, da hatte sie mein Herz gewonnen. Sie berichtete von ihrer Sicht auf Sexualität, die meiner verdammt ähnlich ist. „Wenn wir Frauen checken würden, was für eine Kraft wir in uns haben, könnte so viel passieren!“ meinte sie und legte dar, wie ihrer Ansicht nach die patriarchalen Religionen durch unterdrückte Körperlichkeit und Sexualität alle Geschlechter daran hinderten, frei zu sein. „Wenn wir unsere Sexualität heilen, heilen wir die Welt“ – Oh yes, da stimme ich absolut zu! Durch Scham und Schuld, die durch patriarchale Religionen vermittelt werden, werden wir daran gehindert, in unsere Kraft zu kommen und halten uns selbst klein. Wo könnten wir sein, wenn wir alle weniger Scham und Schuld empfinden würden..? Ein Gedanke, den ich auch schon oft hatte.
Wenn wir unsere Sexualität heilen, heilen wir die Welt.
Iva Samina
Als erste Aufgabe bat Iva uns, an eine bestimmte sexuelle Begegnung zu denken, die wir als besonders schön und einprägsam in Erinnerung hatten. Was war es, dass dieses Erlebnis so besonders machte? Ich dachte dabei an den trüben Herbstabend in den Niederlanden zurück, an dem ich in einem Hot Tub unter freiem Himmel Sex hatte. Mhmm! Ganz viel Zeit füreinander, Entspannung, Verbindung und das Gefühl, mich komplett angenommen und geliebt zu fühlen, hatten diesen Sex so besonders gemacht. Die anderen Teilnehmerinnen erzählten Ähnliches und Iva nutzte diese Überleitung, um uns von den 5 wichtigen Pfeilern zu erzählen, die es aus ihrer Sicht für guten Sex braucht:
- Langsamkeit, um Grenzen wahrzunehmen und zu fühlen
- Neugierde und Spieltrieb
- Absichtslosigkeit und Ergebnis-Offenheit
- Präsenz und Aufmerksamkeit
- Sicherheit und Vertrauen
Klingt das nicht alles wunderschön? Während sie die einzelnen Punkte durchging, war mein Gehirn schon sehr am rattern und ein Aha-Erlebnis nach dem anderen stellte sich ein. Ich sah meine ganze sexuelle Historie auf einmal in einem anderen Licht! Mir wurde bewusst, wie sehr ich in meinem sexuellen Ausdruck die letzten Jahre davon geprägt war, dem zu entsprechen, was „Mann“ von mir wollte. Wie oft ich in eine performative (darstellende) Rolle geschlüpft war, also quasi mir selbst von außen beim Schauspiel Sex zugesehen hatte. Wie sehr ich es gebraucht hatte, dass ein Mann mich begehrt.
Obwohl ich im Bett schon immer selbstbewusst war (ich hab noch nie einen Orgasmus vorgetäuscht, aber fast immer einen eingefordert), hatte ich doch den verinnerlichten Sexismus gelebt und mich selbst durch die Augen eines Mannes in Szene gesetzt. Was total okay ist, solange es bewusst geschieht. Und das war es mir nicht. Uff. Das musste ich erstmal verdauen. Durch das, was Iva als wichtig beschrieb, ergab sich mir ein völlig neuer Blickwinkel darauf, wie ich Sex in Zukunft leben könnte.
Als nächstes besprachen wir die Namen des weiblichen Geschlechtsorgans. Wir schrieben auf, welche Namen uns einfielen und lasen sie reihum vor (soweit online möglich). Neben den üblichen Verdächtigen wie Muschi, Yoni, Mumu oder Scheide fiel schockierend oft das Wort Fotze, dicht gefolgt von Loch und Schlitz. Wäh! Iva bezeichnete diese Worte als „lebens- und lustfeindliche Sprache“, genauso wie alles rund um die Scham und so weiter. Die Frage, die aufkam, war: Weshalb tut sich unsere Gesellschaft so viel leichter mit abwertenden Wörtern als mit aufwertenden Wörtern? Ganz klar: Weil wir von einer lustfeindlichen Religion geprägt sind, in der Sex lediglich der Fortpflanzung dient. Uff. Wir brauchen eine Sprachrevolution!
Nachdem wir uns über diese ganzen spannenden Themen ausgetauscht hatten, ging es dann an die „Handarbeit“: Iva zeigte uns anhand verschiedener Vulva und Vagina-Nachbildungen, wo im Körper sich die G-Fläche oder der A-Punkt befindet und wie man damit umgehen kann. Eine superspannende Sache, die ich noch nicht wusste: Bei Frauen liegen ja die Schwellkörper größtenteils innen (das was bei der Klitoris sichtbar ist, ist sozusagen nur die Spitze des Eisbergs), deshalb brauchen Frauen oft ein längeres Vorspiel als Männer. So einleuchtend, oder?
Iva demonstrierte allerhand lustige Handgriffe wie „Skilanglauf“ und „den Zaun streichen“, mit denen man die eigene oder eine fremde Vulva auf eine neue Art berühren kann. Um dazu genaueres zu erfahren, solltet ihr natürlich einen Workshop bei Iva besuchen! Ich kann es wirklich empfehlen. Nicht nur wegen der Techniken, sondern vor allem auch wegen des Austauschs und den Aha-Momenten über den weiblichen Körper und unsere Gesellschaft. Meine Empfehlung? Vor allem Hetero-Männer sollten einen ihrer Workshops besuchen und einen Einblick bekommen, wie es ist, in einem weiblichen Körper zu leben und Lust zu empfinden.
Hier geht’s zu Ivas Website und direkt zu den Workshops.
*Zur Transparenz: Zu diesem Workshop wurde ich eingeladen und habe einen Rabatt auf den Teilnahmepreis bekommen. Einen ganzen Blogartikel darüber zu schreiben, war meine eigene Entscheidung, weil ich so geflasht war. Das ist also Werbung, aus Überzeugung.
Liebe Noemi <3
Vielen Dank für Deine Worte. Sie berühren mich sehr!
Du hast verstanden, worum es mir geht. Und nun geht es darum, diese Dinge zu integrieren, um sie dann weitergeben zu können.
Und herzlichen Dank auch für Deine Werbung!
E viva la lovelution!
Iva